Das Team am Fraunhofer IWU um Dipl.-Ing. Oliver Georgi nutzt gezielt erzeugte Schwingungen im Bereich bis 100 Hz oder im Ultraschallbereich über 16 kHz, um bei Zerspanungsprozessen bestehende Verfahrensgrenzen zu verschieben. In zahlreichen Industrieprojekten konnte es das technische Potential der schwingungsunterstützten Zerspanung nachweisen und signifikante Kostenvorteile beim Einsatz in der mechanischen Teilefertigung aufzeigen. Insbesondere in der Großserienfertigung sind die Skaleneffekte groß.
Hochfrequente Schwingungen im Ultraschallbereich (ab 16kHz) erhöhen beim Bohren und Tiefbohren die Produktivität und Prozesssicherheit. Die Ultraschallschwingungen führen in bestimmten Materialien, wie Kupfer- oder Aluminiumlegierungen, zu werkstofftechnischen Effekten, wodurch die Zerspanungskräfte deutlich sinken. In der Folge kann die Produktivität durch eine Erhöhung der Schnittwerte gesteigert werden.
In anderen Anwendungsfällen steht die positive Auswirkung in Bezug auf die Gratbildung im Vordergrund. Durch die Reduzierung der Vorschubkraft wird diese so weit vermindert, dass Bearbeitungsaufwände zum Entgraten reduziert werden und in manchen Fällen sogar vollständig entfallen können. Beim Tiefbohren sorgt die Ultraschallunterstützung für einen verbesserten Spanabtransport und mehr Prozesssicherheit. Durch die genannten werkstofftechnischen Effekte wird der für die Qualität bestimmende Mittenverlauf verringert. Die Ultraschallschwingung modifiziert zusätzlich Reibungskontakte in der Zerspanungszone und damit den Werkzeugverschleiß: die Werkzeugstandzeit steigt signifikant. In bestimmten Anwendungen, etwa bei der Zerspanung von schwer spanbaren Materialien wie Nickelbasislegierungen, ermöglicht erst die Ultraschallunterstützung eine ausreichende Prozessfähigkeit, akzeptable Werkzeugstandzeiten und damit eine wirtschaftliche Fertigung.
Bei Zerspanungsprozessen mit kontinuierlichem Schneideneingriff, wie dem Drehen, ist der Spanbruch eine große Herausforderung. In der Serienfertigung führen Störgrößen wie Werkzeugverschleiß oder Chargenschwankungen dazu, dass oft kein prozesssicherer Spanbruch eingestellt werden kann. Lange Späne und Wirrspäne können die Werkstücke beschädigen und führen zur Bildung von Spänenestern, welche den Spänefluss stören. Solche Spänenester müssen manuell beseitigt werden, was nur bei Maschinenstillstand möglich ist. Wird der Spanbruch nicht beherrscht, ist in einigen Fällen sogar der Fertigungsprozess nicht automatisierbar. Durch die Schwingungsunterstützung mit bis zu 100 Hz und 0,6 mm Schwingweite entstehen prozesssicher kurze und definiert gebrochene Späne. Wo Drehmaschinen bisher selbst in der Serienfertigung mehrere Minuten pro Stunde gestoppt werden mussten, verursacht der Spanbruch nun keine Produktionsunterbrechungen mehr. Die Schwingungsunterstützung bei der Zerspanung wird mit innovativen und flexiblen Systemen realisiert, welche als Werkzeughalter am Revolver der Drehmaschinen eingewechselt werden können.
Das Gründungsvorhaben VibroCut ist die Antwort des Forscherteams um Oliver Georgi auf das große Interesse vieler Industriepartner an innovativen Lösungen für mehr Effizienz in der Zerspanung. VibroCut wird zukünftig Schwingsysteme vertreiben, die als Funktionserweiterung für bestehende Werkzeugmaschinen nachgerüstet werden können. Darüber hinaus wird das Unternehmen Dienstleistungen wie kundenspezifische Technologieentwicklung, Maschinenintegration und Schulungen anbieten, seine Kunden also mit Komplettlösungen für die schwingungsunterstützte Zerspanung unterstützen. Der Markteinstieg erfolgt für die Verfahren des Bohrens und Drehens. Das Unternehmen wird sich jedoch nicht auf einzelne Marktnischen beschränkten, sondern künftig weitere Anwendungen in unterschiedlichen Zerspanungsprozessen abdecken. Großes Marktpotenzial sieht VibroCut in der Automobil- und Zuliefererindustrie, im Maschinenbau oder in der Luft- und Raumfahrtechnik. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz fördert VibroCut im Rahmen von EXIST, einem Programm zur Unterstützung herausragender forschungsbasierter Gründungsvorhaben. Die Unternehmensgründung ist für Mitte 2023 vorgesehen.
COMPAMED.de; Quelle: Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU