Wo die Probleme liegen, was bereits geschafft wurde und wieso der Brexit auch hierbei eine Rolle spielt, erklärt Hans-Peter Burisg vom ZVEI – Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie e. V.
Herr Bursig, die 2017 eingeführte MDR hat das Ziel, die Patientensicherheit zu erhöhen. Eigentlich eine gute Sache. Warum gibt es so harsche Kritik vonseiten der Medizintechnikunternehmen und ihrer Zulieferer?
Hans-Peter Bursig: Aus Sicht der Medizintechnikunternehmen wird das Sicherheitsniveau durch die neue Verordnung nicht verbessert. Medizinprodukte sind bereits sehr zuverlässig und sicher. Jetzt wird an verschiedenen Stellen mit zusätzlichen Kontrollschritten und Überprüfungsmaßnahmen sowie sehr exakten Vorgaben, wie bestimmte Abläufe durchzuführen sind, nachreguliert. Es wird mit sehr viel Aufwand für die Hersteller und die Benannten Stellen quasi in der Nachkommastelle ein Mehr an Sicherheit erzeugt. Ein Mehr an Sicherheit ist immer gut. Die Kritik bezieht sich aber darauf, dass das alles mit einer sehr kurzen Übergangsfrist über alle Produkte hinweg passieren muss. Selbst Bestandsprodukte, bei denen in den letzten zehn Jahren nie ein Sicherheitsvorkommnis vorlag, sind davon nicht ausgenommen. Das bedeutet für die Unternehmen einen enormen Aufwand, der in der kurzen Zeit nur mit großen Anstrengungen zu leisten ist. So kommt es, dass viele von ihnen überlegen, ihr Produktspektrum zu reduzieren.
Besonders Nischenprodukte, zum Beispiel für Kinder, wären betroffen. Denken Sie, dazu wird es tatsächlich kommen?
Bursig: Das ist aus unserer Sicht ziemlich wahrscheinlich. Wir haben unter unseren Mitgliedern eine Umfrage durchgeführt. Darunter sind große und kleine Medizintechnikhersteller, aber im Durchschnitt werden wahrscheinlich zwischen fünf und zehn Prozent der Produkte, die ein Unternehmen heute im Programm hat, vom Markt verschwinden. Davon sind zunächst viele Produktvarianten betroffen. Das heißt, es trifft zum Beispiel ein EKG-Gerät, von dem es sieben Untervarianten gibt. In Zukunft gibt es vielleicht nur noch fünf Untervarianten. Viele Varianten wird es dann auf dem Markt nicht mehr geben, da die Hersteller hier besonders schauen werden, ob sich der erhebliche Aufwand für die erneute Konformitätsbewertung und die permanente Aktualisierung der Unterlagen lohnt. Das kann auch Geräte betreffen, die speziell für Kinder entwickelt wurden.
Wäre es für Sie denkbar, dass Produkte vielleicht nicht aus dem Portfolio genommen werden, aber eine Abwanderung in den FDA-Raum erfolgt?
Bursig: Das befürchten wir nicht. Natürlich haben die Hersteller die Möglichkeit zu bestimmen, dass sie ein Produkt nicht mehr in Europa in Verkehr bringen, dafür aber in anderen Märkten außerhalb der EU. Aber demgegenüber steht aus Sicht eines Herstellers immer die Frage, ob sich dieser Schritt lohnt. Denn dann produziert er ein Produkt für den US-Markt, das für den europäischen Markt nicht zugelassen ist. Ich würde das in dieser Form nicht erwarten.