Eine neue Entwicklung des Fraunhofer-Instituts für Keramische Technologien und Systeme IKTS dürfte alle Patientinnen und Patienten interessieren, die schon einmal eine Wurzelbehandlung auf dem Zahnarztstuhl erlebt haben. Diese wird oftmals notwendig, wenn tiefsitzende Karies und eine Entzündung die Zahnwurzeln angegriffen haben. Um den Zahn zu retten, öffnet der Arzt oder die Ärztin den Zahn und entfernt das entzündete Gewebe im Inneren der Wurzelkanäle mit einem rotierenden Feileninstrument. Auch wenn dabei eine lokale Betäubung verabreicht wird: Sowohl für den Menschen auf dem Behandlungsstuhl als auch für die Ärztin oder den Arzt ist die Prozedur kräfteraubend und anstrengend. Das liegt nicht zuletzt daran, dass das aus den Wurzelkanälen abgetragene Gewebe an der Feile anhaftet und diese verklebt.
Forschende des Fraunhofer IKTS in Dresden haben im Rahmen des Verbundforschungsvorhabens "IPUCLEAN" (Intelligentes piezoelektrisches Ultraschallsystem zur Erhöhung der Reinigungs- und Schneidleistung von Wurzelkanalfeilen aus Nickel-Titan-Legierungen) ein innovatives Feileninstrument konstruiert, das die Arbeit der Zahnärztin oder des Zahnarztes erleichtert und die Behandlungszeit verkürzt. Dafür hat das Team unter Leitung von Dr. Holger Neubert, Abteilungsleiter Intelligente Materialien und Systeme, einen winzigen piezokeramischen Stapelaktor entwickelt, der die Rotation der Feile mit einer axial schwingenden Bewegung im Ultraschallfrequenzbereich überlagert.
Im klassischen Verfahren rotiert die Zahnfeile durch einen Elektromotor im Handstück mit etwa 200 Umdrehungen pro Minute. Sie wird in den Wurzelkanal eingeführt und dort periodisch vor und zurück bewegt. Ein Teil des zu entfernenden Gewebes haftet als klebrige Masse an der Feile, dadurch sinkt die Reinigungsleistung, und die Beanspruchung der Feile steigt. Zwar besteht die Zahnfeile aus einer hochelastischen Nickel-Titan-Legierung (NiTi), allerdings erhöht sich unter der Belastung das Risiko, dass die Feile bricht. Sie muss daher immer wieder entfernt und aufwändig gespült werden.
Neubert erklärt die Vorteile, die sich durch den Einsatz des piezokeramischen Stapelaktors ergeben: "Durch die Überlagerung der Rotation mit einer axialen Schwingung setzt sich die Feile weniger schnell zu und muss daher nicht mehr so oft gespült werden. Die Zahnärztin oder der Zahnarzt können sich viel besser auf die ohnehin diffizile Arbeit im Wurzelkanal konzentrieren. Zudem sinkt das Risiko eines Feilenbruchs." Für Patientinnen und Patienten bedeutet dies: Die Wurzelbehandlung ist deutlich schneller zu Ende.
"Die Grundidee, die beiden Bewegungen der Zahnfeile zu kombinieren, stammt von den Medizinern der zahnärztlichen Fakultät der Universitätsmedizin Rostock. Da piezokeramische Stapelaktoren die speziellen Anforderungen an Schwingungsamplitude und Frequenz, den kleinen Bauraum sowie die elektrische Versorgungsspannung am besten erfüllen, haben wir diese als Antriebselement realisiert", erklärt Neubert. Das Unternehmen Gebr. Brasseler GmbH & Co. KG war Koordinator des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten IPUCLEAN-Projekts. Ärztinnen und Ärzte der zahnmedizinischen Fakultät der Universität Rostock erprobten die Technik bereits an Kunststoffzähnen und gaben positives Feedback.
Aktoren auf piezokeramischer Basis haben mehrere Vorteile. Sie sind kompakt und klein, arbeiten schnell und präzise, lassen sich einfach ansteuern und entwickeln nur geringe Wärmeverluste. Bei Stapelaktoren werden mehrere Schichten übereinandergelegt und so miteinander verschaltet, dass sich die Auslenkung des Aktors vergrößert. Damit konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Projekt IPUCLEAN das Handgerät so miniaturisieren, dass es sich in den beengten Platzverhältnissen des Mundraums noch gut bewegen lässt. Ein weiterer Erfolg: Am Fraunhofer IKTS wurden auch Stapelaktoren aus bleifreiem Material gefertigt. Diese erfüllen bereits zukünftige Anforderungen der europäischen RoHS-Richtlinie und sind frei von gefährlichen Substanzen.
Das Fraunhofer IKTS ist führend bei der Umsetzung des enormen Potenzials piezokeramischer Materialien. So haben die Forschenden eine Reihe weiterer Anwendungen in der Medizin in den Blick genommen, etwa niederfrequente Ultraschallwandler mit hoher Eindringtiefe für die Tomografie. Diese piezokeramischen Wandler sind durch die Miniaturisierung so kompakt, dass bis zu 2000 Stück in ein Tomografie-System herkömmlicher Größe passen. Das erlaubt hochauflösende 3D-Bilder des menschlichen Körpers in der Diagnostik. Hochfrequente Ultraschallwandler sind beispielsweise in der Dermatologie gefragt. Sie liefern präzise Bilder mit hoher Auflösung bei geringer Eindringtiefe. Ebenso sind Anwendungen als Leistungsultraschallwandler möglich. Dabei wird durch stark fokussierten Schalleintrag Gewebe lokal zerstört, beispielsweise in der Krebstherapie.
"Piezokeramische Komponenten ermöglichen eine große Vielfalt unterschiedlicher Anwendungen und sind aufgrund ihrer Kompaktheit und Leistungsfähigkeit für die Medizintechnik attraktiv. Wir sind in der Lage, für Kunden individuelle und auf deren jeweilige Bedürfnisse hin maßgeschneiderte Lösungen zu entwickeln", fasst Neubert zusammen.
COMPAMED.de; Quelle: Fraunhofer-Gesellschaft