Wie Schwerelosigkeit bessere Heilung auf der Erde bringen kann
Was klingt wie Science-Fiction, wurde auf der Internationalen Raumstation ISS Realität: Ein Bioprinter druckte dort erstmals Nervenimplantate – auch für eine bessere Heilung auf der Erde.
Wir sprachen mit Dr. Jacob Koffler, CEO von Auxilium Biotechnologies und Assistenzprofessor für Neurowissenschaften und Bioengineering. Er leitete die Entwicklung des Bioprinters AMP-1 und unterstützte die Planung und Umsetzung für die ISS-Mission im November 2023. Er berichtet uns vom Projekt, den Erkenntnissen und vor allem von den Vorteilen, die der Druck in der Schwerelosigkeit mit sich bringt.
Themen im Beitrag:
Ziel: Nerven reparieren
Drucken ohne Schwerkraft
Effiziente Anwendung des Druckers
Kommerzielles Drucken im All
Zulassung der Implantate auf der Erde
Praktische Gründe für das Drucken im All
Der Ausgangspunkt des Projekts: Nerven reparieren mit medizinischen Implantaten
Auxilium Biotechnologies aus San Diego, USA, hat sich auf die Regeneration peripherer Nerven nach Verletzungen spezialisiert. Um die Heilung zu ermöglichen, entwickelt das Unternehmen Implantate, die als "Brücken" zwischen den Nervenenden fungieren.
Die Implantate werden in unterschiedlichen Größen produziert, je nach Art der Verletzung. Die Herstellung erfolgt unter anderem mit 3D-Drucktechnologie. In der aktuellen dritten Generation der Implantate sind spezielle Nanopartikel integriert, die die Regeneration deutlich verbessern sollen. Die folgende Animation zeigt die Funktionsweise:
Warum macht es Sinn, die Implantate im Weltall zu drucken?
Dr. Koffler beschreibt: "Ein Problem bei der Herstellung auf der Erde war, dass sich diese Partikel durch die Schwerkraft absetzen und ungleichmäßig verteilt sind. Uns hat interessiert, ob sich das in der Schwerelosigkeit ändern ließe." Die NASA unterstützte das Projekt, da es aus ihrer Sicht einen klaren Nutzen für Patientinnen und Patienten auf der Erde bieten kann. Der Assistenzprofessor erklärt den Mehrwert für die medizinischen Implantate:
So sehen die gedruckten "Nerven-Brücken-Implantate" aus. Das Material: biologische, proprietäre Tinte mit Nanopartikeln zur Förderung der Nervenregeneration:
medizinische Implantate wurden zeitgleich gedruckt.
So verteilen sich die Nanopartikel im Material
Zeit ist Geld: Effiziente Anwendung und Steuerung des Druckers
Den Aufwand für die Astronautinnen und Astronauten so gering wie möglich zu halten war sehr wichtig. Denn ihre Arbeitszeit ist kostbar. Auxilium konnte den Druck bis auf wenige Handgriffe von der Erde aus steuern. NASA Astronaut Barry "Butch" Wilmore musste lediglich die Tonerkartusche aus der Kühlung nehmen und in den Bioprinter einsetzen.
Minuten dauert die Inbetriebnahme des Druckers.
Drucksitzungen wurden bis zu 2x täglich durchgeführt.
Wird eine kommerzielle Produktion möglich sein?
Der Bioprinter AMP-1 wurde über ein Jahr lang extra für den Einsatz auf der Raumstation umgebaut. "Kein Teil durfte lose sitzen, weil es die Raumfahrenden verletzen könnte. Außerdem musste das Gerät weitestgehend autonom funktionieren", erklärt Koffler weiter.
Dieser Plan für die ISS-Mission ging auf. Allein die Frequenz und der große Output sind ein Erfolg und geben so den Weg frei für das nächste Level: den Übergang von reiner Forschung zu einer potenziell kommerziellen Massen-Produktion medizinischer Produkte im All.
Auxilium plant den Einsatz auf verschiedenen Plattformen, nicht nur auf Raumstationen wie der ISS. Möglich wären auch zukünftige kommerzielle Raumstationen und autonome "Free-Flying-Platforms". Für den Druck reichen schließlich wenige Stunden in der Schwerelosigkeit:
Eine "Free-Flying-Platform" (freifliegende Plattform) ist ein autonomes Raumfahrzeug oder Modul, das sich unabhängig von einer Raumstation oder einem Trägersystem im All bewegt und dort spezifische Aufgaben erfüllt. Es ist sozusagen ein "fliegender Labor- oder Arbeitssatellit".
Noch viel Arbeit bis zur Zulassung der medizinischen Implantate auf der Erde
Den Drucker für die Nutzung auf der Raumstation funktionstüchtig zu machen war die eine Herausforderung – die Zulassung der gedruckten Implantate zu erhalten ist eine noch viel größere.
Die Implantate durchlaufen derzeit präklinische Tierversuche. Für die Zulassung durch die US-Zulassungsbehörde FDA sind jedoch umfassende Tests nötig. Die Biokompatibilität und Toxizität müssen nachgewiesen werden. Die Herstellung im All gilt als unsterile Umgebung und ist ein bislang regulatorisch nicht definierter Sonderfall. Und: Die FDA hat keine Vorerfahrungen mit Weltraum-basierten Bioprinting-Prozessen. Schritt für Schritt geht es aber voran.
Experiment am Rande
Diese künstlichen durchlässigen Blutgefäße wurden auch gedruckt. Was für ein Kunstwerk!
Viele Innovationen aus der Raumfahrtmedizin helfen heute auch auf der Erde.
Die NASA sieht großes Potenzial in der Technologie sowohl für medizinische Versorgung im All als auch für Anwendungen auf der Erde. Besonders bei Langzeitmissionen könnte vor Ort hergestelltes medizinisches Equipment lebenswichtig sein.
Auxilium verfolgt ein einzigartiges Konzept: Sie nutzen die Vorteile der Mikrogravitation nicht, weil der 3D-Druck auf der Erde nicht funktioniert – das tut er – sondern weil die Qualität der Implantate durch gleichmäßig verteilte Nanopartikel und möglicherweise neue biologische Effekte deutlich verbessert werden kann. Ziel ist es, medizinische Innovationen aus dem All für den Einsatz auf der Erde zugänglich zu machen.
Die im Weltraum getesteten und entwickelten Innovationen könnten die regenerative Medizin auf der Erde vorantreiben und zu individuellen Behandlungsmöglichkeiten für Patienten mit Nervenschäden führen. Darüber hinaus könnten sie die Techniken des Bioprintings anderer Gewebe oder sogar von Organen in Zukunft verbessern.
Autorin: Natascha Mörs | Redaktion COMPAMED.de
Seit beinah 20 Jahren schreibt und dreht die Multimedia-Redakteurin Natascha Mörs für COMPAMED.de. Sie gibt gerne Einblicke in die Details von Materialien, miniaturisierten Komponenten und führt Gespräche mit Zulieferern aller Bestandteile, die Medizintechnik erst möglich machen.