Der dreidimensionale (3D) Druck ist in den vergangenen Jahren fast zu einer Alltagstechnologie geworden. Doch was sich am Lehrstuhl für Mikrofluidik der Universität Rostock mit dieser Technik tut, könnte in einigen Jahren die Therapie von großen Knochendefekten revolutionieren. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entwickeln unter Leitung von Professor Hermann Seitz neuartige Implantate, die verschiedene bioaktive Eigenschaften in sich bergen und damit den biologischen Eigenschaften im Knochen nahe kommen. Diese Arbeiten sind eingebunden in den Sonderforschungsbereich 1270 "ELAINE“ der Universität Rostock, der sich mit der Forschung zu elektrisch aktiven Implantaten beschäftigt.
Die Behandlung von Knochentumoren oder schweren Knochenverletzungen stellt die Medizin oft vor große Probleme, berichtet Seitz. Als Knochenersatzmaterial wird beispielsweise Titan verwendet, doch die Anpassung des Metalls an individuelle anatomische Gegebenheiten etwa im Gesicht ist schwierig. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass sich das starre Implantat lockert und somit zu langfristigen Problemen führt. Ein zweiter Therapieweg sei, dass Knochenmaterial etwa aus dem Becken entnommen und an die schadhafte Stelle transplantiert wird. "Das ist dann aber zusätzlich mit einem weiteren Defekt verbunden“, gibt der Ingenieur Seitz zu Bedenken.
Bei den aktuellen Forschungen zur Herstellung von Knochenersatz orientieren sich die Rostocker Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der Physiologie des Knochens. So ist bekannt, dass sich im Knochen bei jeder mechanischen Belastung kleine Spannungspotenziale bilden. "Dieser sogenannte piezoelektrische Effekt sorgt dafür, dass Zellen zum Wachstum angeregt werden“, sagt Christian Polley, Doktorand im Sonderforschungsbereich am Lehrstuhl für Mikrofluidik. "Die Piezoelektrizität ist ein wichtiger Schlüsselfaktor beim ständigen Knochenumbau im Organismus.“ Es sei zudem schon seit längerem bekannt, dass mit Bariumtitanat, einer piezoelektrischen Keramik, unter mechanischem Druck ebenfalls Spannungspotenziale erzeugt werden können.
Das Bariumtitanat werde im vielversprechenden Forschungsansatz von "ELAINE“ mit sogenannten bioaktiven Gläsern kombiniert. Von diesem Material sei bekannt, dass es beim Kontakt mit Körperflüssigkeiten Ionen freisetzt und so seine Bioaktivität entfaltet. In Zusammenarbeit mit Professor Aldo Boccaccini vom Lehrstuhl für Biomaterialien an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg werde das Material mit Bariumtitanat gemischt und anschließend in den 3D-Drucker gegeben.
"Wir testen bereits erfolgreich mit Simulationskammern, in denen der Druck in einem Organismus naturgetreu nachgeahmt werden kann“, betont Seitz. "Wir wollen ein Implantat haben, das auf mechanische Reize piezoelektrisch reagiert und gleichzeitig bioaktiv ist." Ziel sei es, dass aus dem angrenzenden Gewebe Knochenzellen in das poröse Implantat einwandern. Wenn die Besiedelung und die Bildung von Gefäßen erfolgt sind, bleibt das Implantat im Körper.
Der Vorteil des Verfahrens sei, dass das Implantat nach der digitalen Rekonstruktion im 3D-Drucker passgenau angefertigt werden kann. "Wir wissen vorher ganz genau, wie das Puzzlestück aussehen muss", sagt Polley. Wenn das Implantat aus dem Drucker kommt, beginne die Arbeit der Chirurgie.
Doch dieser letzte Schritt ist Zukunftsmusik. Denn die Arbeiten in einem Sonderforschungsbereich sind Grundlagenforschung auf höchstem Niveau. Bis diese Technologie die Hürde in den klinischen Alltag überwindet, werden noch viele Jahre vergehen. "Denn die zugrundeliegenden Mechanismen müssen bis ins kleine Detail verstanden sein", erklärt Seitz. Klar sei aber auch, dass auf dem Weg dahin noch viele wichtige Forschungsergebnisse und neue Erkenntnisse liegen werden.
COMPAMED.de; Quelle: Universität Rostock