Hier setzte ein Forschungsprojekt der Fraunhofer-Institute WKI und IAP gemeinsam mit Industriepartnern an. Ein Fokus lag darauf, ein halogenfreies Flammschutzmittel zu entwickeln, das möglichst in geringer Einsatzmenge und daher mit geringen Kosten eingesetzt werden kann. Außerdem wurde der Einsatz von bereits verfügbaren Flammschutzmitteln in der Compoundierung mit unverstärkten und mit Holzpartikeln verstärkten Biopolymeren getestet.
"Um unser Ziel zu erreichen, Bio-Verbundwerkstoffe für die Elektrotechnik und Elektronik zu entwickeln, die möglichst zu 100 Prozent biobasiert sind, mussten wir unseren Fokus zunächst auf die Entwicklung von neuen, biobasierten Flammschutzmitteln legen. Es wurden Synthesen halogenfreier Flammschutzmittel auf Basis von biobasierten Alkoholen und phosphorhaltigen Verbindungen durchgeführt. Anschließend haben wir zahlreiche Versuche zur Compoundierung mit Polymilchsäure (PLA) als Matrixpolymer durchgeführt", erläutert Dr. Arne Schirp, Projektleiter am Fraunhofer WKI, das Vorgehen.
Für einen optimalen Flammschutz ist die homogene Verteilung der Flammschutzmittel in der Biopolymermatrix aus PLA notwendig. Die Kopplung mit der Biopolymermatrix sollte durch die speziell entwickelten, reaktiven Flammschutzmittel erreicht werden. Als neues Verfahren für die Anbindung der Flammschutzmittel an die Matrix wurde die Elektronenstrahlvernetzung eingesetzt. Dies ist ein nicht-thermischer Prozess, der zur Behandlung von Kunststoffen vielfach genutzt wird, für Bio-Kunststoffe bisher jedoch noch wenig Anwendung findet. Die Eigenschaften der Polymere werden hier modifiziert, indem über die Strahlendosis kontrollierbare Vernetzungs- und Kopplungsreaktionen angestoßen werden. In den Versuchen, auch beim Industriepartner BGS Beta Gamma Service, erwies sich ein Additiv als wirkungsvoll, bei dem nachweislich die Vernetzungsreaktion des PLA den Abbau durch den Elektronenstrahl überwiegt. Auch weitere Additive wurden umfangreich getestet. Die Ergebnisse verbessern den Kenntnisstand über die zum Teil erstmalig eingesetzten Additive sowie die Prozesse in der Kunststoffverarbeitung und die Auswirkungen der Bestrahlung.
Bei der Synthese halogenfreier, neuartiger Flammschutzmittel auf Basis von biobasierten Alkoholen und phosphorhaltigen Verbindungen erwies sich der Fokus auf die Herstellung vollveresterter Phosphate als vielversprechend. Nach Optimierungsversuchen konnte eine Compoundierung mit PLA realisiert werden, aus der eine Rezeptur zur Herstellung von flammgeschützten PLA-Compounds entwickelt wurde. Entflammbarkeitstests gemäß UL94 ergaben eine sehr gute Klassifizierung (V-0) bei einer Prüfkörperdicke von 1,6 mm.
Die Forschenden am Fraunhofer WKI und Fraunhofer IAP führten des Weiteren Versuche zur Compoundierung unverstärkter und mit Holzpartikeln verstärkter Biopolymere mit halogenfreien, aktuell verfügbaren Flammschutzmitteln durch. Sie konnten feststellen, dass diese für PLA und biobasiertes Polybutylensuccinat (PBS) als Basispolymere verfahrenstechnisch gut einsetzbar sind. In der Verarbeitung von PLA ist die Verwendung eines beheizbaren Werkzeugs erforderlich, um hohe Kristallinitäten und somit hohe Wärmeformbeständigkeiten in den Bauteilen zu erreichen. Neben einer guten Flammschutzwirkung ist die Wärmeformbeständigkeit ein wichtiges Kriterium für die Anwendung. Es gelang dem Team, Formulierungen für PLA und PBS zu entwickeln, die die Anforderungen an den Flammschutz in den Zielanwendungen weitgehend erfüllen und im Spritzguss sowie mit additiver Fertigung verarbeitet werden können. Dies wurde mit verschiedenen Tests nachgewiesen, darunter UL94, Glühdrahttest und Prüfung der Kriechstromfestigkeit.
Die Verarbeitungsergebnisse im Spritzgussverfahren bei den beteiligten Industriepartnern stimmen sehr optimistisch. Technische, flammgeschützte Komponenten und Bauteile wie Tunnelschieber für Schaltkästen und Aufbewahrungsboxen aus dem Logistikbereich konnten unter produktionsnahen Bedingungen hergestellt werden. Für die PBS-basierten Materialien liegen die Zykluszeiten in einem vergleichbaren Bereich zu den heute eingesetzten petrobasierten Kunststoffen. Bei den Versuchen mit einer Zugabe von Holzpartikeln konnten die Forschenden außerdem zeigen, dass diese einen positiven Einfluss auf die Flammschutz-Performance aufweisen. Die Wärmefreisetzungsraten wurden durch Holzzugabe deutlich reduziert. Gleichzeitig kam es jedoch zu einer Verkürzung der Entzündungszeitpunkte. Für holzfaserverstärkte, flammgeschützte und auskristallisierte PLA-Compounds konnte eine maximale Wärmeformbeständigkeit von 140 °C bis 160 °C nachgewiesen werden.
Darüber hinaus entwickelten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler flammgeschützte Formulierungen auf Basis von Bio-Polyamiden (PA) für den Spritzguss. Die Formulierungen erfüllten die Klassifizierung V-0 (1,6 mm Dicke) im UL94-Test und im Vergleich zu Referenzmaterialien weitgehend die Anforderungen hinsichtlich des Glühdrahttests und für die Kriechstromfestigkeit (CTI). Die Vernetzbarkeit von drei flammgeschützten Bio-PA-Typen wurde erstmals in der Elektronenbestrahlung untersucht. Es zeigte sich, dass der Bio-PA-Typ PA6.10 am besten vernetzbar ist und der Bio-PA-Typ PA11 am wenigsten. Die Forschenden konnten auch hier nachweisen, dass die Zugabe von Holzpartikeln einen positiven Einfluss auf die Flammschutz-Performance ergibt. Wie bei den Versuchen mit PLA und PBS waren die Wärmefreisetzungsraten durch Holzzugabe reduziert, bei einer gleichzeitigen Verkürzung der Entzündungszeitpunkte. Die Bestrahlung bewirkte bei fast allen PA-basierten Formulierungen eine Erhöhung der Zugfestigkeit und des Zug-E-Moduls sowie eine Reduzierung der Kerbschlagzähigkeit.
"Die Formulierungen auf Basis von Bio-PA wurden bisher nur im Kleinmaßstab im Messkneter und Minispritzguss verarbeitet. Es besteht also weiterer Forschungsbedarf, um herauszufinden, wie die Verarbeitung auf Doppelschneckenextrudern und im Spritzguss gelingt. Auch sollte eine Optimierung der flammgeschützten, PA-basierten Compounds im Hinblick auf die gesamte Bandbreite an Anforderungen aus dem Bereich Elektrotechnik und Elektronik erfolgen", resümiert Schirp.
COMPAMED.de; Quelle: Fraunhofer-Institut für Holzforschung - Wilhelm-Klauditz-Institut (WKI)