Mit Rohstoffknappheit, Lieferkettenproblemen und Klimaneutralität steht die Industrie derzeit vor vielen Herausforderungen – aber eine der drängendsten ist der Fachkräftemangel. Denn ohne qualifizierte Kräfte lassen sich auch die anderen Aufgaben nicht angehen. Automatisierte und autonome Systeme können das Problem abfedern, aber nicht lösen, denn: Die menschliche Fähigkeit, flexibel auf Störungen und unerwartete oder neue Situationen zu reagieren, lässt sich auch mit KI noch nicht technisch nach-bilden. Gerade in Krisen- und Ausnahmesituationen sind die Mitarbeitenden daher ein entscheidender Resilienzfaktor für Unternehmen.
Vor dem Hintergrund des demographischen Wandels und eines Wertewandels bei den jüngeren Generationen ist nicht zu erwarten, dass sich das Problem in naher Zukunft entschärft. Daher sind kreative Lösungen zur Personalwerbung, -bindung und -weiterqualifizierung, aber auch zur Unterstützung der vorhandenen Belegschaft gefordert. Es gilt, die Attraktivität von Arbeitsplätzen in der Produktion zu steigern, durch Aufgabenvielfalt und Entscheidungsbefugnis, aber auch durch Reduzierung physischer Belastung. Hochkomplexe, integrierte Technologien müssen für die Bedienenden beherrschbar gemacht werden, auch wenn ihre Ausgangsqualifizierung für den Umgang damit nicht optimal ist. Und das Know-how von Prozessexpertinnen und -experten muss im Unternehmen gesichert und für andere Mitarbeitende zugänglich gemacht werden. Das Fraunhofer IPK hat zur Überwindung der bestehenden Herausforderungen umfassende Lösungen geschaffen.
Datengestützte Lösungen bieten dazu vielfältige Ansätze. Werden Fertigungsprozesse so komplex, dass Maschinenbedienende sie nicht mehr nur mit Erfahrungswissen optimal einrichten können, helfen interaktive Assistenzsysteme. Sie schlagen auf Basis von Sensordaten oder Wissen von Spezialistinnen und Spezialisten geeignete Einstellungen vor oder leiten den Menschen kontextsensitiv durch den Prozess.
Das große Feld der Assistenzsysteme lässt sich grob in zwei Gruppen gliedern: Indirekte Assistenz agiert im Hintergrund, während bei direkter Assistenz eine unmittelbare Mensch-Maschine-Interaktion stattfindet. Indirekte Assistenz ist im Wesentlichen Auswahlhilfe, gestützt auf Datenanalyse. Zur Vorbereitung schwieriger Entscheidungen werden Daten zum Beispiel aus Sensoren in Maschinen intelligent ausgewertet. Als Ergebnis wird eine kontextsensitive Auswahl möglicher Optionen zur Verfügung gestellt. Direkte Assistenz bereitet Informationen mit Modellen und Dashboards so auf, dass Menschen damit arbeiten können – etwa um einen Prozess optimal einzurichten oder eine Anlage zu warten, mit der sie nicht bis zur letzten Schraube vertraut sind. Dabei ist die Herausforderung, die Assistenz so zu gestalten, dass sie intuitiv bedienbar ist und den Menschen, der sie nutzt, weder unter- noch überfordert. "Am Fraunhofer IPK erforschen wir beide Formen von Assistenz – von Lösungen für semantische Datenvernetzung und -interpretation bis hin zu situationsgerechten User-Assistenzsystemen für unterschiedlichste Einsatzgebiete", sagt Prof. Dr. Jörg Krüger, Leiter des Geschäftsfelds Automatisierungstechnik. "Anwendungen sind z. B. die Identifikation neuer und gebrauchter Bauteile zur Montagevorbereitung oder für die Wiederverwendung von Altteilen, aber auch die Unterstützung von Servicekräften im Wartungseinsatz."
Da es immer schwieriger wird, Nachwuchskräfte für die Produktion zu rekrutieren, unternimmt die Industrie große Anstrengungen, Arbeitsumfelder so zu gestalten, dass erfahrenes Personal darin möglichst lange agieren kann. Ergonomisch optimale Arbeitsbedingungen leisten einen wesentlichen Beitrag, Arbeitskräfte bis in ein hohes Alter in Unternehmen zu halten. In diesem Kontext spielen körpergetragene Sensor- und Robotersysteme zur Ergonomie- und Kraftunterstützung, die Verschleiß und Verletzungen des Bewegungsapparates vorbeugen, eine zunehmende Rolle. Die vom Fraunhofer IPK entwickelte Orthese ErgoJack® nutzt Sensoren zur Bewegungserkennung, um Tragende zu informieren, wenn sie sich ergonomisch kritisch bewegen. Bei Tätigkeiten, in denen keine ergonomische Haltung möglich ist – etwa beim Bearbeiten von Objekten auf Überkopfniveau – helfen kraftunterstützende Exosuits wie PowerGrasp, ebenfalls eine Entwicklung des Berliner Instituts.
Das Wissen von Prozessexpertinnen und -experten ist für Unternehmen eine ebenso essenzielle Ressource wie Energie oder das Ausgangsmaterial von Produkten. Dieses Wissen unternehmensweit verfügbar zu machen, setzt effektive Wissensmanagement-Lösungen voraus. Darüber hinaus erzeugen insbesondere Digitalisierung und Vernetzung sowie deren unternehmensindividuelle Ausgestaltung einen erhöhten Bedarf, Fertigkeiten von Mitarbeitenden weiterzuentwickeln. Hier spielen intuitive Trainingsmethoden eine wichtige Rolle. Technologieorientierte Weiterbildungen sowie Serious Games und realitätsnahe Lernfabriken, in denen Produktionsmanagement- und -steuerungsmethoden interaktiv vermittelt werden, ermöglichen Mitarbeitenden aller Hierarchieebenen, Lerninhalte hautnah zu erleben und gezielt Kompetenzen zu entwickeln.
COMPAMED.de; Quelle: Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik IPK