Chirurgie: Sensibler Bohrer warnt, bevor er Nerven beschädigen kann
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Chirurgie: Sensibler Bohrer warnt, bevor er Nerven beschädigen kann
Interview mit Dr. Kerstin Thorwarth, Team Nanoscale Materials Science, Empa - Swiss Federal Laboratories for Materials Science and Technology
19.01.2023
Am Empa - Swiss Federal Laboratories for Materials Science and Technology arbeitet man daran, einen Bohrer zu entwickeln, der bei der Benutzung nahe sensibler Nerven selbstständig Nervenstimulationen durchführen kann. So kann vermieden werden, dass Chirurginnen und Chirurgen abwechselnd bohren und sondieren müssen. Wir haben bei Frau Dr. Kerstin Thorwarth nachgefragt, wie das Projekt entstand und wie der Bohrer aufgebaut ist.
Dr. Kerstin Thorwarth
Frau Dr. Thorwarth, Sie haben einen Bohrer entwickelt, der die umliegenden Gesichtsnerven bei Cochlea-Operationen stimulieren kann und sich abschaltet, bevor er diese verletzt. Mit welchen Überlegungen haben Sie dieses Projekt begonnen?
Kerstin Thorwarth: Das Team um Stefan Weber vom "ARTORG Center for Biomedical Engineering Research" der Universität Bern entwickelte einerobotergesteuerte, minimalinvasive Operationsmethode zum Einbringen von Cochlea-Implantaten. Anstelle eines Teils des Schädels zu öffnen, um die Nerven für den Chirurgen offenzulegen, wird von einem Roboter mithilfe eines vorher erstellten 3D-Modelles nur ein kleines Loch in den Schädel gebohrt. Um sicherzugehen, dass die Nerven nicht beschädigt werden, wird der Bohrer regelmäßig entfernt und eine Sonde eingeführt, welche dann das elektrische Signal zur Nervenstimulation abgibt. Eine faszinierende Operationsmethode, die die Aufenthaltsdauer im Krankenhaus deutlich verkürzt, schneller abheilt und auch das Risiko einer Nervenschädigung deutlich reduziert. Unsere Fragestellung war, ob sich diese Sonde nicht mit dem Bohrer kombinieren ließe. So müsste dieser nicht während der OP mehrmals entfernt werden, sondern könnte selbst kontinuierlich eine Nervenstimulation durchführen. Das würde die OP noch weiter beschleunigen und noch sicherer machen.
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Dank einer speziellen Oberflächenbeschichtung wurde der Drill leitfähig. Welche Beschichtung wurde hier aufgetragen, wie und zu welchem Zweck?
Thorwarth: Der Bohrer an sich besteht aus Metall und ist somit leitfähig. Frühere Untersuchungen ergaben, dass es bei der Sonde mehrere leitfähige Bereiche geben sollte. Durch das gezielte Anlegen eines elektrischen Signals an unterschiedliche Bereiche der Sonde beziehungsweise des Bohrers kann der Nerv zusätzlich lokalisiert werden. Man kann so unterscheiden, ob man sich auf den Nerv zubewegt ("unsicher") oder neben dem Nerv vorbei bohrt ("sicher"). Hätte man nur eine Elektrode auf der Sonde beziehungsweise auf dem Bohrer, könnte man die beiden Szenarien nicht unterscheiden.
Für den Bohrer gibt es zudem die Anforderung, nur kleine Bereiche leitfähig zu behalten. Der Bohrer muss also elektrisch isoliert werden, zum Beispiel durch Si3N4 Siliziumnitrid. Durch eine Multilage mit der leitfähigen Keramik Titannitrid (TiN) werden dann elektrisch leitfähige Bereiche definiert, die auch separat angesteuert werden können. Die Anforderung an die Beschichtung ist neben der Leitfähigkeit und Isolierung, dass die Beschichtung bei der Bohrung nicht zerstört wird. Beide Materialien sind etablierte Hartstoffschichten, welche schon zur Erhöhung der Lebensdauer von Bohr- und Schneidwerkzeugen eingesetzt werden. Neben der funktionellen Anforderung an die Beschichtung ist auch die Biokompatibilität wichtig. Ansonsten würde so ein Bohrer nicht für den Einsatz am Menschen zugelassen werden.
Der Spezialbohrer mit den leitfähigen und isolierenden Hartstoffschichten.
Bleiben die Eigenschaften des Drills während seiner gesamten Verwendungsdauer erhalten?
Thorwarth: Durch die Hartstoff-Beschichtung wir die Lebensdauer des Bohrers sogar noch verlängert. Die Beständigkeit wurde in Korrosionsversuchen und anhand künstlichen Knochenmaterials getestet. Für eine folgende klinische Studie sind weitere Arbeiten und Investitionen notwendig.
In welchen Bereichen ließe sich der Drill vermutlich noch einsetzen?
Thorwarth: Die Operationsmethode eignet sich für alle Bereiche, in denen nahe an einem Nerv gebohrt oder gefräst werden muss. Ein gutes Beispiel wäre die Wirbelsäulenchirurgie.
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