"Wenn eine Chirurgin oder ein Chirurg den Eingriff vornimmt, muss sie oder er relativ große Bereiche des Schädelknochens abtragen", erläuterte Weber damals in einem Artikel der NZZ. Erst wenn er sehe, wo die Nerven lägen, setze er den Bohrer an. Der Roboter bohrt dagegen nur einen 1,8 Millimeter schmalen Kanal, dessen Verlauf an Hand eines zuvor erstellten CT-Bilds festgelegt wird.
Doch das chirurgische Fachpersonal dürfe nicht "im Blindflug" bohren, denn das Loch für das Cochlea-Implantat muss zwischen dem Geschmacksnerv und dem Gesichtsnerv liegen. Diese Nerven liegen an einer Stelle nur 3 Millimeter voneinander entfernt und dürfen keinesfalls verletzt werden. Bis anhin halfen sich die Ärztinnen und Ärzte so: Kurz vor der Engstelle stoppten sie den Bohrer und reizten mit einer elektrischen Spitze den Gesichtsnerv. Wenn die Zuckung im Gesicht des Patienten nicht zu stark ausfällt, darf vorsichtig weitergebohrt werden.
Die Medizinerinnen und Medizinier des ARTOG-Centers gelangten an die Empa mit der Frage: Könne man nicht einen Bohrer entwickeln, der zugleich den Gesichtsnerv elektrisch stimuliert, einen Bohrer also, der seine Position im Schädel der Patientin oder des Patienten anzeigt? Kerstin Thorwarth von der Empa-Abteilung "Surface Science & Coating Technologies" ging an die Arbeit. Gemeinsam mit einer Kollegin entwickelte sie im Rahmen einer Masterarbeit und eines Innosuisse-Projekts einen Bohrer mit leitfähiger Spitze. Die leitfähigen und isolierenden Hartschichten aus Titannitrid (TiN) und Siliziumnitrid (Si3N4) wurden per Magnetron-Sputtering auf den Bohrkopf aufgebracht. Dafür mussten die einzelnen Windungen des Bohrers mit speziellen Masken abgedeckt werden.
Der Bohrer mit der an der Empa entwickelten Spezialoberfläche wies schließlich die passenden elektrischen Eigenschaften auf und bestand auch Bohrversuche in Knochenmaterial, die im Labor durchgeführt wurden. Die Partner in Bern waren jedenfalls zufrieden. "Der Smart-Drill für die Cochlea-Chirurgie könnte zum Beispiel auch für die Wirbelsäulenchirurgie eingesetzt werden", zeigt sich Projektleiter Stefan Weber optimistisch.
Nun sucht das Forschungsteam der Empa gemeinsam mit den chirurgischen Kolleginnen und Kollegen aus Bern nach einem Industriepartner, der den Smart-Drill nach den gesetzlichen Vorgaben für Medizinprodukte herstellen kann. "Dazu wird weiterer signifikanter Entwicklungsaufwand nötig sein", so Weber. Und der brauche noch die passende Finanzierung.
COMPAMED.de; Quelle: Empa - Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt